Zeugnissprache

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Darum geht's

Die geheimen Codes der Zeugnisse und was sie bedeuten

Geschickt verpackte Kritik

Tatsächlich gehört es sich nicht, einem ehemaligen Mitarbeiter ein negatives Arbeitszeugnis auszustellen, auch wenn dieser sich in der gemeinsamen beruflichen Zeit nicht mit Ruhm bekleckert hat. Sogar das Gesetz verlangt nach einer höflichen Beurteilung, die dem ehemaligen Angestellten keine Steine in den weiteren Berufsweg legt. Der Arbeitgeber ist also quasi dazu verpflichtet, ein (so nennt man es) „wohlwollendes“ Zeugnis auszustellen.
Um dennoch andere Unternehmen vor diversen Defiziten und fragwürdigen Arbeitsmethoden des potenziellen neuen Angestellten zu warnen, haben Arbeitgeber eine Art Geheimsprache entwickelt, mit deren Hilfe sie negative Kritik geschickt verpackt im Arbeitszeugnis unterbringen.
Sicherlich hast du schon einmal von diesen ominösen, nett klingenden Formulierungen gehört, die eigentlich etwas ganz anderes bedeuten und den zukünftigen Chef vorwarnen sollen. Hier erfährst du, was bestimmte Formulierungen im Arbeitszeugnis wirklich bedeuten.

Der „Bewertungs-Code“

Es beginnt schon bei der Grundeinschätzung. Nur minimale Formulierungs-Unterschiede lassen deine Gesamt-Note von Gut auf Schlecht rutschen. So bedeutet die Vollendung des Satzes „Frau/Herr XY erledigte alle von uns gestellten Aufgaben…“

  • „stets zu unserer vollsten Zufriedenheit.“ sehr gut (Note 1)
  • „stets zu unserer vollen Zufriedenheit.“ gut (Note 2)
  • „stets zu unserer Zufriedenheit / Zu unserer vollen Zufriedenheit.“ befriedigend (Note 3)
  • „zu unserer Zufriedenheit.“ ausreichend (Note 4)
  • „im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit.“ mangelhaft (Note 5)
  • „zu unserer Zufriedenheit zu erledigen versucht.“ ungenügend (Note 6)

Allein diese differenzierten Bewertungsformen geben dem zukünftigen Arbeitgeber Aufschluss über deine Arbeitsweise, ohne dich offen kritisiert zu haben. Weitere versteckte Kritik-Formulierungen sind:

  • „Frau/Herr XY integrierte sich bestens ins Team und war bei allen Mitarbeitern beliebt.“ à „Frau/Herr XY ist eine Quasselstrippe, die die Kollegen gern von der Arbeit abhält.“
  • „Frau/Herr XY sorgte stets für ein angenehmes und lockeres Betriebsklima.“ à „Frau/Herr XY schaute auf den Betriebsfeiern gern mal zu tief ins Glas.“
  • „Frau/Herr XY verstand es stets, im Team zu kooperieren und ihre/seine Kollegen in die Arbeitsabläufe einzubeziehen.“ à „Frau/Herr XY hat seine/ihre Arbeit auf andere abgewälzt.“
  • „Frau/Herr XY hat alle Arbeiten ordnungsgemäß verrichtet.“ à „Frau/Herr XY mangelt es an Eigeninitiative und Bereitschaft, sich eigene Aufgaben zu suchen.“
  • „Frau/Herr XY arbeitete stets mit großer Sorgfalt und Genauigkeit.“ à „Frau/Herr XY arbeitete im Schneckentempo.“
  • „Frau/Herr XY war stets pünktlich.“ à „Frau/Herr XY erschien zwar rechtzeitig um acht, verließ das Büro aber ebenso pünktlich um vier – egal, welche Aufgaben noch auf dem Schreibtisch lagen.“

Neben diesen Formulierungen kann auch das Weglassen der Einschätzung der fachlichen Kompetenz, die Betonung von Selbstverständlichkeiten wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit oder auch die Nennung von Nebenaufgaben vor Hauptaufgaben als Kritik verstanden werden. Ebenso negativ konnotiert sind Äußerungen wie „Frau/Herr XY war in unserer Neben-Niederlassung tätig.“.

Der Aufbau des Arbeitszeugnisses

Wie viele andere Dokumente auch ist das Arbeitszeugnis einem festen Aufbau unterworfen. Nach der kurzen Information über dich und das Eintrittsdatum deiner Tätigkeit im Unternehmen folgen ein kurzes Firmen-Profil, deine Position und deine Aufgaben, die zur besseren Lesbarkeit gern stichpunktartig untergliedert werden. Daran anschließend erfolgt die Bewertung der Fähigkeiten und der Erfüllung der Aufgaben sowie des Umgangs mit Vorgesetzten, Kollegen und gegebenenfalls Kunden. Auch besonders herausragendes Lob kann an dieser Stelle noch genannt werden.
Wird die Passage der Bewertung nun beispielsweise vor deine Aufgabenbereiche gestellt, ist dies ebenfalls ein deutliches Signal für zukünftige Arbeitgeber. Durch die untypische Platzierung werden Personal-Chefs aufmerksam und lesen sich die Bewertung viel gewissenhafter durch. Auch, wenn die Beurteilung des Verhältnisses zu den Kollegen vor der Beurteilung des Mitarbeiter-Chef-Verhältnisses gesetzt wird, bedeutet das unterschwellig, dass du zwar ein sympathischer Typ ist, dich jedoch schwer unterordnen kannst.
Am Ende eines jeden Bewerbungsschreibens findet sich eine Abschiedsformel, die wiederum Aufschluss über die Bewertung des Angestellten oder Praktikanten gibt. Auch hier lohnt es sich, genau hinzuschauen:

  • „Wir bedauern den Verlust von Frau/Herr XY und danken für das hohe Maß an Engagement und Kompetenz.“ bedeutet sehr gut (Note 1)
  • „Wir bedauern den Verlust von Frau/Herr XY und sind für die stets gute Leistung zu großem Dank verpflichtet.“ bedeutet gut (Note 2)
  • „Wir bedauern den Verlust von Frau/Herr XY und danken für die gute Zusammenarbeit.“ bedeutet befriedigend (Note 3)
  • „Wir danken für die gute Zusammenarbeit.“ bedeutet ausreichend (Note 4)
  • „Wir können unseren Dank für die stete Arbeitsbereitschaft nicht versagen.“ bedeutet mangelhaft (Note 5)

Fällt eine Bewertung in Form der Abschlussformel schlechter aus als die vorhergehende, so ist dies gewollt. In diesem Fall muss das Arbeitszeugnis insgesamt negativer gewertet werden. Andersherum gilt eine schmeichelhaftere Abschlussformel jedoch nicht als Aufwertung des Zeugnisses.
Auch wenn man als Arbeitnehmer oder Praktikant in den wenigsten Fällen etwas an seinem Bewertungszeugnis ändern kann, ist es doch wichtig, die verschlüsselten Formulierungen zu verstehen. Denn nur wer in der Lage ist, Kritik anzunehmen, kann es im weiteren Verlauf des Berufsweges besser machen. Nimm dir also stets die Zeit, dein Arbeitszeugnis gewissenhaft zu lesen. Denn: Es ist nicht immer alles Gold, was glänzt.

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